Die Kerkerbachbahn AG (KB)
Eine der eher unbekannten Privatbahnen war die bereits 1884
gegründete Kerkerbachbahn AG. Die von der Lahn in den Westerwald führende
Strecke diente in erster Linie dazu, die Bodenschätze im südlichen Teil des
Westerwaldes (Ton, Basalt, Eisenerz, Marmor, Braunkohle u.a.) aufzuschließen und
damit erst konkurrenzfähig zu machen. Der Personenverkehr spielte seit jeher nur
eine untergeordnete Rolle.
Die Kerkerbachbahn unterhielt zwei vom Bahnhof Kerkerbach ausgehende Strecken.
Die parallel zur Lahn verlaufende sogenannte „untere Strecke“ über Steeden nach
Dehrn war dreischienig ausgebaut, so daß mit den schmalspurigen Lokomo tiven
hier auch normalspurige Güterwagen befördert werden konnten. Die „obere Strecke“
war dagegen eine reine Schmalspurbahn mit 1000 mm Spurweite. Sie führte über
Eschenau, Christianshütte und Schupbach zunächst bis Heckholzhausen. Später
wurde sie nach Hintermeilingen erweitert und schließlich bis nach
Mengerskirchen. Sie hatte nun eine Gesamtlänge von 35,1 km. Über die Eröffnungs-
und Stillegungsdaten informiert die untenstehende Tabelle.
Im Eigentum der Kerkerbachbahn befindliche Anschlußbahnen führten von Eschenau
zu den Basaltbrüchen bei Obertiefenbach (1000 mm), von Heckholzhausen zu den
Ton- und Erzgruben der Gewerkschaft Niederstein bei Obertiefenbach (600 mm) und
von der Schlagmühle zur Braunkohlen- grube bei Lahr (ebenfalls 600 mm). Weitere
Anschlußbahnen (Marmorbruch Schupbach, Basaltbruch Füllburg, Basaltbruch
Birkenheck u.a.) befanden sich im Eigentum der Werke.
Über viele Jahre hinweg erfüllte die Bahn bei weitem nicht die von den Erbauern
gesetzten Erwartungen. Besonders der erst 1908 eröffnete Abschnitt von
Hintermeilingen nach Mengerskirchen erbrachte kaum größere Einnahmen. In den
Krisenjahren nach dem Ersten Weltkrieg fuhr die Kerkerbachbahn daher tief in die
roten Zahlen. Um überhaupt zu überleben, wurde bereits 1920 die Strecke ab
Mengerskirchen für den öffentlichen Verkehr stillgelegt.
Der Hauptkunde dieses Abschnitts, die Eiserfelder Steinwerke, übernahmen daher
die Strecke als Anschlußbahn und gründeten die „Hintermeilingen-Mengerskirchener
Anschlußbahn (HIME)“. Mit einer gebraucht erworbenen Lok der Nebenbahn
Orschweier- Ettenheimmünster führten sie den Güterverkehr auch für andere Kunden
noch bis Mitte der dreißiger Jahre durch, bis die Strecke schließlich ganz
stillgelegt und abgebaut wurde.
Auch die anderen Streckenabschnitte erfuhren Einschränkungen. Die KB-eigenen
Anschlußbahnen von Eschenau und Heckholzhausen nach Obertiefenbach sowie von
Schlagmühle nach Lahr wurden stillgelegt und der Personenverkehr auf der
„unteren Strecke“ eingestellt.
In den dreißiger Jahren wurde die Lahn bis Dehrn für größere Schiffe schiffbar
gemacht. Die Kerkerbachbahn errichtete in Dehrn eine Hafenbahn und pachtete den
Hafen. Nun konnten Massengüter aus dem Einzugsgebiet der „oberen Strecke“ hier
in Lahnschiffe umgeschlagen und kosten- günstig weiterbefördert werden.
Ende der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts ging es mit der Kerkerbachbahn
wieder aufwärts. Für Materialtransporte beim Bau der Autobahnbrücke über die
Lahn bei Dietkirchen wurde eine Anschlußbahn von Dehrn zur Baustelle errichtet,
über die Baustoffe aus dem Einzugsgebiet der Kerkerbachbahn antransportiert
wurden. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Steedener Kalkwerke von der IG
Farbenindustrie übernommen und massiv ausgebaut. Bis Anfang der siebziger Jahre
pendelten nun tägliche Ganzzüge zwischen den Steedener Kalkwerken und
Ludwigshafen BASF. In den sechziger Jahren entstanden in Dehrn und Kerkerbach
größere Industriegebiete mit Gleisanschlüssen, die für ein erhebliches
Frachtauf- kommen sorgten. Auf der schmalspurigen „oberen Strecke“ ging der
Verkehr in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zurück, so daß 1960 der
Personen- und Güterver- kehr von Kerkerbach nach Hintermeilingen eingestellt
wurde.
Auf Dauer war auch der Restbetrieb auf der nur 3,7 Kilometer langen „unteren
Strecke“ nicht rentabel zu führen. Zum 1. Januar 1975 wurde die KB mit Personal
und Fahrzeugen daher von der DB übernommen, die den Güterverkehr im
Anschlußbahnbetrieb weiterführte. Rückläufiges Verkehrsaufkommen (zuletzt
verluden nur noch die Steedener Kalkwerke) führten 2000 zur Aufgabe auch dieses
Restbetriebes. Die Steedener Kalkwerke sind zwar weiterhin an einem Bahnan-
schluß interessiert. Die Zukunft wird zeigen, ob künftig nochmals Güterwagen
nach Steeden rollen werden, eventuell mit werkseigenen Lokomotiven.
Eröffnungs- und Stilllegungsdaten:
|
Güter |
Personen |
Strecken |
Güter |
Personen |
|
01.05.1886 |
01.06.1888 |
Dehrn - Kerkerbach |
2000 |
1929 |
|
05.11.1887 |
01.06.1888 |
Kerkerbach - Eschenau |
17.12.1960 |
25.07.1960 |
|
10.01.1888 |
01.06.1888 |
Eschenau - Schupbach |
17.12.1960 |
25.07.1960 |
|
10.01.1888 |
01.06.1888 |
Schupbach - Heckholzhausen |
17.12.1960 |
01.03.1958 |
|
01.10.1905 |
01.10.1905 |
Heckholzhausen - Hintermeilingen |
17.12.1960 |
01.03.1958 |
|
24.10.1907 |
24.10.1907 |
Hintermeilingen - Waldernbach |
03.10.1920 |
03.10.1920*) |
|
15.04.1908 |
15.04.1908 |
Waldernbach - Mengerskirchen |
03.10.1920 |
03.10.1920*) |
|
01.10.1905 |
--- |
Schlagmühle - Lahr |
23.08.1917 |
--- |
|
1908 |
--- |
Heckholzhausen - Obertiefenbach |
27.09.1924 |
--- |
|
17.06.1911 |
--- |
Eschenau - Obertiefenbach |
1919 |
--- |
|
1937 |
--- |
Dehrn - Dietkirchen Lahnbrücke |
1939 |
--- |
*) Die Bahnstrecke wurde noch bis etwa 1935 als Privatanschlußbahn durch die Hintermeilingen - Mengerskirchener Anschlußbahn GmbH im Güterverkehr bedarfsweise bedient.
Fahrzeuge
Bei der Betriebseröffnung der Kerkerbachbahn (1886) standen zwei
zweiachsige Dampflokomotiven von der Maschinenfabrik Esslingen zur Verfügung.
Auch sämtliche Personen- und Güterwagen der Erstausstattung stammten aus
Esslingen. Wenig später, 1889, wurde aber bereits eine stärkere dreiachsige Lok
von Krauss beschafft. Mit diesen Fahrzeugen wurde der Betrieb über zwanzig Jahre
abgewickelt.
Im Jahre 1907 wurde für den Personenverkehr auf der bis Mengerskirchen
verlängerten Strecke ein Komarek-Dampftriebwagen angeschafft, der bis 1930 im
Bestand blieb. 1909 und 1911 beschaffte man bei O&K zwei recht leistungsfähige,
vierachsige Dampflokomotiven. Im Jahre 1919 kam eine weitere vierachsige
Dampflokomotive, diesmal wieder von Krauss, hinzu, nachdem die Lokomotiven der
Erstausstattung abgestellt worden waren.
Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage erfolgten in den folgenden Jahren
keine weiteren Fahrzeugkäufe. Von 1932 bis 1936 gab eine kleine Dampftramwaylok
der Köln-Bonner Eisenbahnen ein Gastspiel im Kerkerbachtal. Als der Güterverkehr
wieder anwuchs, beschaffte man 1937 eine exotisch wirkende Krauss
1’C-Schlepptenderlokomotive von der Brohltalbahn, die ursprünglich für Siam
gebaut, aber nicht mehr abgeliefert worden war. Die Maschine hat sich bei der KB
gut bewährt und war bis 1958 im Einsatz.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte man die Gelegenheit, zwei kaum gelaufene
1’E1’-Heeresfeldbahnloks zu kaufen. Sie wurden von Schlepptender- in Tenderloks
umgebaut und ab 1949/50 im Kerkerbachtal eingesetzt. Sie waren bis zur
Stilllegung der Schmalspurstrecke 1960 in Betrieb.Für die „untere Strecke“ wurde
1956 eine normalspurige Dampflok von der BASF erworben und bis 1960 eingesetzt.
Im Jahre 1958 begann bei der KB das Dieselzeitalter. Zu diesem Zeitpunkt wurden
von Ruhrthaler zwei typengleiche zweiachsige Dieselloks beschafft, und zwar eine
in Schmalspur- und die andere in Normalspurausführung. Auf der unteren Strecke
konnten beide in Doppeltraktion, von einem Führerstand aus bedient, eingesetzt
werden. Nach der Stillegung der Schmalspurstrecke wurde die Schmalspurlok auf
Normalspur umgebaut. Im Jahre 1975 gelangten beide Dieselloks an die DB und
wurden zunächst weiterhin auf ihrer Stammstrecke eingesetzt, später aber
verkauft. Heute sind beide Loks bei schweizerischen Meterspurbahnen im Einsatz.
Der Personenwagenbestand war aufgrund des geringen Personenverkehrs nie groß.
Zunächst standen zwei zweiachsige Personenwagen von Esslingen im Einsatz. Ab
etwa 1930 gab es einen gebraucht erworbenen vierachsigen Wagen. Schließlich
wurden unmittelbar nach dem Krieg einige geschlossene Güterwagen zu
Behelfspersonenwagen umgebaut.
Der Güterwagenpark war stets recht groß. Es waren vorwiegend offene
Schüttgutwagen für den Erz-, Basalt- und Tonverkehr im Bestand. Anfangs waren es
einfache Eselsrückenwagen mit Holzaufbau, später dann Wagen mit Stahlaufbauten.
Auf der „unteren Strecke“ wurden nach dem Zweiten Weltkrieg einige normalspurige
offene Güterwagen im internen Verkehr eines Anschließers vom Lahnhafen zum Werk
in Dehrn eingesetzt. Technisch interessant war auch je ein offener und
geschlossener Zwischenwagen mit Normal- und Schmalspurkupplung, um normalspurige
Wagen mit Schmalspurloks zu befördern
Nr. |
Name |
Bauart |
Hersteller |
Fabr.-Nr. |
Baujahr |
Spur |
Verbleib |
1 |
Schupbach |
Bn2t |
Esslingen |
2091 |
1885 |
1000 |
++1916 |
2 |
Steeden |
Bn2t |
Esslingen |
2092 |
1885 |
1000 |
++1925 |
3 |
Dachs |
Cn2t |
Krauss |
1912 |
1889 |
1000 |
++ nach 1930 |
4 |
|
Bn2t |
Hagans |
356 |
1897 |
1000 |
1932 ex KBE, ++1936 |
4` |
|
1`Cn2 |
Krauss |
6979 |
1914 |
1000 |
1937 ex KBE, +1958, ++1960 |
12 |
|
Dn2t |
O&K |
3260 |
1909 |
1000 |
+1949, ++1953 |
13 |
|
Dn2t |
O&K |
4396 |
1911 |
1000 |
+1952, ++1953 |
14 |
|
Dn2t |
Krauss |
7519 |
1919 |
1000 |
+1957, ++1960 |
15 |
|
1’E1’h2t |
Henschel |
26169 |
1941 |
1000 |
1948 ex HF, ++1962 |
16 |
|
1’E1’h2t |
Jung |
9577 |
1942 |
1000 |
1948 ex HF, ++1960 |
17 |
|
Dh2t |
Hohenzollern |
4190 |
1921 |
1435 |
1956 ex BASF, ++1960 |
-- |
|
B-2` |
Komarek |
? |
1907 |
1000 |
++ um 1930 |
18 |
Steeden |
B-dh |
Ruhrthaler |
3574 |
1958 |
1435 |
1975 an DB 333.901 (1*) |
19 |
Kerkerbach |
B-dh |
Ruhrthaler |
3575 |
1958 |
1000 |
später 1435, 1975 an DB 333.902 (2*) |
(1*) 1981 an Fernleitungsbetriebs-GmbH/ 1989 an Brig-Visp-Zermatt-Bahn (Tm 74)
(2*) 1979 an Furka-Oberalp-Bahn (Tm 4973)
Text : Andreas Christopher